Eine von vielen Motorradgeschichten
….eine weitere Geschichte – nicht nur für Motorradfahrer.
Vorgestern habe ich mir zwei gebrauchte 1000l-Heizöltanks in Berching abgeholt. Das liegt in Bayern am alten Ludwig-Donau-Main-Kanal. Die Heizöltanks brauche ich für je zwei stationäre Notstromaggregate mit je 28kVA – wir leben in einer unsicheren Zeit – auch was die elektrische Energieversorgung anbelangt. Dabei ist mir noch in guter Erinnerung die Nacht vom 31.12.1978 auf den 1.1.1979. Ja, an solche Momente erinnere ich mich noch. Ich stand da in Kaltern, Südtirol – mit meiner XT500. Ca. 560km lagen für die Heimfahrt vor mir. Start in der Früh bei minus 20 Grad. Nachmittags bin ich in Ansbach bei minus 16 Grad angekommen – mit Erfrierungen am Hals und an der Nase dritten Grades (Ablösungen der Haut und Blasenbildung). Kurz vor zu Hause sprang mir zu allem Übel auch noch die Antriebskette runter. Die Finger konnte ich nicht mehr einzeln bewegen – trotz guter Handschuhe und Lenkerstulpen zum Schutz vor der klirrenden Kälte. Und auch das habe ich geschafft – die Kette wieder aufzulegen. Zwischendurch musste ich ein paarmal Sprit fassen. Haben Sie das schon mal erlebt: Sie laufen und haben das Gefühl statt Knochen in den Beinen gehärteten Stahl zu haben der bei jedem Schritt seltsam zu schwingen beginnt? Zu Hause angekommen habe ich mir erst einmal ein heißes Bad eingelassen um wieder auf Körpertemperatur zu kommen. In Kaltern hatten wir Sylvester gefeiert. Wir waren eine ganze Truppe. Darunter war auch ein Rennfahrerkollege aus dieser Zeit der mit seinem Golf GTI mit Hänger für zwei Motorräder und KTM-Geländesportmotorrad angereist war. Der hatte mir angeboten mich in seinem Auto mitzunehmen, mein Motorrad getrennt auf dem Hänger. Doch trotz der klirrenden Kälte hatte ich dies abgelehnt. Zwar lag ich schon öfters neben meinem Motorrad im Graben oder in der Wiese. Aber das war immer unfreiwillig wenn mich das „Ding“ mal wieder (wie so oft) einfach aus Übermut abgeworfen hatte. Vergessen habe ich in der Zwischenzeit auf wessen Seite der Übermut stattgefunden hatte. Auf jeden Fall war es gegen meine Motorradfahrerehre feige in dass Auto umzusteigen und meine XT ganz alleine auf dem Hänger frieren zu lassen. Nein, ich hatte schon immer eine enge Verbindung zu meinen Motorrädern. Ich war Motorradfahrer durch und durch. Und ohne diese Fahrt würden mir wieder ein paar Erfahrungen durch Selbstversuch im Grenzbereich fehlen. War es für mich nur eine Grenzerfahrung hatte sich in der früheren DDR durch diesen plötzlichen extremen Wintereinbruch in den folgenden Tagen Szenen auf Leben und Tod abgespielt. Durch die extreme Kälte konnte die relativ feuchte Braunkohle nicht mehr gefördert werden. Die in den Eisenbahnwaggons befindliche, gefrorene Braunkohle konnte nicht mehr entladen werden. Flugzeugdüsentriebwerke mussten her um die Kohle aufzutauen damit die Waggons entladen werden konnten. Danach konnte man die Waggons ausgeglüht wegschmeißen. Als Folge der Kohleverknappung fiel der Strom weiträumig auf – von jetzt auf gleich. Mitten in einer Operation im Krankenhaus war plötzlich der Strom weg. In den Ställen fielen die Lüftungen aus. Heizungen fielen aus. Wasserrohre platzten in Folge. Vieh ist erfroren und auch verhungert. Panzer mussten zur Versorgung der entlegenen Dörfer eingesetzt werden. Es war wie im Krieg. Es hatte viele Tage gedauert bis das Chaos überwunden war. Und solche Erfahrungen geben mir zu denken. Auch unsere Stromversorgung steht seit ein paar Jahren auf tönernen Füßen. Ich möchte weiter angstfrei durch mein Leben gehen. Auch wir Menschen haben ein Energielevel. Das kann hoch sein oder auf Null. Null ist der Tod. Dazwischen spielt sich mehr oder weniger Leben ab. Wohl dem der die Energieräuber kennt. Angst ist der größte davon. Also nehme ich etwas zur Kenntnis und reagiere darauf um mir keine Gedanken mehr für den Tag X machen zu müssen. In Bezug auf die Gefahr eines flächendeckenden und unter Umständen mehrere Tage anhaltenden Stromausfalls habe ich mir für meine beiden Liegenschaften, Ansbach-Brodswinden und Burgoberbach je ein Stromaggregat angeschafft. Dazu halte ich das Heizöl vor – haltbar gemacht mittels Bactofin der Fa. Wagner-Oldieöle. Damit ist sichergestellt dass wenigstens meine Heizungen für mich, meinen Betrieb und für meine Mieter weiter mit dem nötigen Strom versorgt werden und Reparaturen können wir auf diese Weise für unsere Kunden auch noch durchführen. Jetzt kann ich mich wieder angstfrei auf meine eigentliche Arbeit zum Wohle meiner Kunden weltweit konzentrieren. Meine Devise lautet: Je weiter der Mensch vorausdenken kann umso leichter tut er sich in allem.
Ganz in der Nähe vom Abholort der Heizöltanks in Berching, Richtung Greding, genau zwischen Obermässing und Kleinottersdorf, ist eine frühere Bergrennstrecke für Autos und Motorräder. Und über diese Strecke habe ich meinen Rückweg gewählt da mit dieser Strecke eine ganz besondere Erinnerung verbunden ist. Auch verbindet mich diese Erinnerung an die Erinnerung an einen Freund aus vergangenen Tage, einen richtigen Weggefährten und guten Kameraden. Wolfgang ist sein Name. Mit ihm war ich viel unterwegs. Anfangs waren wir mit unseren alten DKW’s, beide hatten wir eine DKW-RT175H. Aber die fuhren wir nur im Winter. Wegen dem geschlossenen Kettenkasten, den Telegabelmanschetten, dem niedrigen Schwerpunkt, der auf Schnee und Eis beherrschbaren Leistung mit ursprünglich 9,6PS. Später hatten wir uns dann aber entschieden dass wir auch die 11PS des umgerüsteten 200ccm-Zylinders beherrschen. Was haben wir uns da in den Pässen der Alpen für herrliche Bergrennen geliefert. Ja, auch mit dieser bescheidenen Leistung kannst Du Dir mit anderen schöne Rennen liefern. Für den Sommer hatten wir andere, heißere Motorräder. Ich fuhr da eine YAMAHA RD250, später auf die Zylinder der RD350 umgerüstet. Ja, das war eine richtige Rakete. Wolfgang hatte eine BMW R60/5. Auch die war umgerüstet auf die Zylinder der 900-er BMW. Und auch damit haben wir uns immer wieder Rennen geliefert – auf den üblichen kleinen kurvenreichen Landsträßchen der Republik. Manchmal mussten wir auch eine Pause manchen – wenn mal wieder der Verfolger im Rückspiegle gefehlt hatte oder der Vorausfahrende statt der Kurve die Gerade ohne Straße gewählt hatte. Aber wir haben uns immer wieder gegenseitig dabei geholfen unsere Motorräder wieder nach Hause zu bringen oder aus dem Graben zu ziehen. Eine heiße Zeit. Damals schon ein Leben im Grenzbereich der Physik.
Später hat es mich dann auf die Rennstrecke gezogen. Wegen der nicht oder nur ganz bescheidenen vorhanden monetären Mittel musste ich mir dazu meine Rennmaschine selbst zusammenbasteln. Eine YAMAHA musste es sein denn diese Maschinen haben die Starterfelder beherrscht. Aus einer Unfallmaschine und weiteren zusammengesuchten Teilen, die waren damals sehr rar, hatte ich es im Winter von 1975 auf 1976 als Lehrling wirklich geschafft mir so meinen Traum von einem Rennmotorrad aufzubauen. Bei meinem ersten Rundstreckenrennen hatte ich es tatsächlich geschafft in der 500-er Klasse in Niederstetten auf dem Flugplatzrennen unter 85 für das Training angetretenen Fahrern als 8., und damit in der 2 Startreihe stehend, von insgesamt 35 für das Rennen qualifizierte Fahrer zum Rennen zugelassen zu werden. Im Rennen bin ich dann nur 9. geworden da in der letzten Runde sich mein Schaltgestänge verbogen hatte und ich, um überhaupt schalten zu können, diese unter Zeitverlust wieder zurechtbiegen musste. Damit fiel ich hinter den das Vorjahressiegermotorrad pilotierenden Fahrer, Herrn Poggenpohl zurück. Für mich ein grandioser Erfolg und fast wie ein Sieg – ein persönlicher Sieg. Hatte man mir doch im Winter von kompetenter Seite erklärt dass ich mit meinem Vorhaben heutzutage damit keine Chance mehr habe ob des erdrückend professionellen Materials welches heute (damals) eingesetz werde. Ich hatte mich dennoch nicht entmutigen lassen und ging meinen eingeschlagenen Weg weiter. Und wie sich nun herausstellte war das auch gut so.
Mit diesem Motorrad hatte ich dann beim Ellerbergrennen, einem Bergrennen bei Tiefenellern, etwas östlich von Bamberg gelegen, gleich im ersten freien Trainingslauf einen Sturz – ich wurde nach oben aus dem Sattel gehoben. Das kam so: Meine YAMAHA mit TR3-Zylindern war ja unheimlich giftig und dabei noch mit einem Seriengetriebe übersetzt und hatte auch noch die kurze Hinterradschwinge der Serien-RD350. Das machte das Motorrad zum Springbock. Vom Start bis kurz vor die erste Kurve ging es rein auf dem Hinterrad. Das Vorderrad war einfach nicht auf dem Boden zu halten. Die erste Haarnadel, heute kann man sich das leicht in google-earth anschauen, kurz nach der Gastwirtschaft, das war meine. Schöner Bogen um die 180-Grad Kurve. Dann, als der Kurvenausgang in Sicht war auf Vollgas gestellt, das Motorrad noch in Schräglage, das Vorderrad geht hoch Richtung Himmel und noch Richtung Straßengraben, kurz Gas weg, kurze Kurskorrektor um auf der Straße zu bleiben, sofort wieder Vollgas noch in Schräglage, wer noch keine Zweitaktrennmaschine gefahren hat und die Leistungcharakteristik so eines Zweitaktrennmotors nicht kennt hat evtl. Probleme die Geschichte nachvollziehen zu können, das Hinterrad geht schlagartig weg, sofort nochmals Gas weg, das Hinterrad fängt sich wieder und das ganze Motorrad schmeißt seinen Fahrer in hohen Bogen noch oben raus. Nun gehen Fahrer und Motorrad getrennte Wege. Der Fahrer war ich. Unverletzt dank Lederkleidung und Halbschalenhelm. Das Rennen konnte ich dann zu Ende fahren und sogar einen Pokal mit nach Hause nehmen.
Und dann haben wir mal die Rollen getauscht. Nicht ich und Motorrad sondern mein Freund Wolfgang und ich. Nun war ich der Mechaniker und er der Fahrer. Es war 1977 bei Greding – oben erwähnte Bergrennstrecke. Wolfgang war beeindruckt von der Leistung der TR3-Rennmaschine und kam damit sehr gut zurecht. Ich war nun der Mechaniker und für das Wohl und Wehe der Maschine verantwortlich. Und zur Aufgabe des Mechanikers gehört auch die Ermittlung des Spritverbrauchs und der Berechnung der notwendigen Spritmenge plus Zugabe eines Sicherheitspolsters. Sprit ist aber nicht nur Energie sondern auch Gewicht. Unnötiges Gewicht kostet unnötige Zeit – und Gewicht plus Höhendifferenz, es geht ja den Berg hoch, zählt mit Faktor X zusätzlich. Also muss doch logischerweise unnötiges Gewicht gespart werden. Und das geht rechnerisch. Und so gehört zur Ausrüstung eines guten Mechanikers auf der Rennstrecke ein Messbecher. Nun wird das Motorrad mit einer bestimmten Menge Sprit für das Training betankt. Diese Menge wird notiert und nach den Trainingslauf wird der Sprit abgelassen und wieder notiert. Nun wird Messung 2 nach dem Lauf von Messung 1 vor dem Lauf abgezogen und so der Verbrauch für einen Lauf ermittelt. Dazu gibt man noch eine kleine Sicherheitsreserve für alle Fälle. Und so hatte ich es auch gemacht. Immer im Glauben dass so auch alles richtig ist. Aber irgendwo muss sich da wohl ein kleiner Fehler eingeschlichen haben. Denn im letzten Lauf, im 2. Wertungslauf ist es passiert. Wir haben das Rennen nicht gewonnen. Fahrer, Motorrad und Mechaniker gehören ja zusammen und bilden eine Truppe. Das ist das wir. Aber Erfahrung haben wir gewonnen. Nicht dass der Sprit nicht gereicht hätte. Aber etwas knapp war es schon. Eigentlich zu knapp. Bei der letzten Zieldurchquerung drehten sich auch die Räder noch, ok, das Vorderrad drehte sich noch. Zieldurchquerung deshalb weil das Motorrad quer lag, auf dem Boden. Aber es ist so noch durch das Ziel gegangen. Wir hätten das Rennen aber auch schon deshalb nicht gewonnen da es eine Vorschrift gibt das das Motorrad bei Zieldurchfahrt pilotiert sein muss. Auch würde es nicht zählen wenn der Fahrer ohne Motorrad die Lichtschranke an der Ziellinie überschreitet. Was war so kurz vor dem Ziel passiert? Man könnte nun lapidar sagen, das Motorrad hat seinen Fahrer abgeworfen. Das wäre nun aber zu einfach und würde die nächste Frage aufwerfen. Also werden wir die Sache ganz genau analysieren. Nun, da hat sich der Mechaniker entweder in der Menge des benötigten Sprits verrechnet oder aber es gab eine kleine Verzögerung am Vorstart mit bereits laufendem Motor oder eine von vornherein zu knappe Spritberechnung hatte sich im Zuge der diversen Läufe aufaddiert und so zu den fehlenden ca. 50ccm Sprit gefehlt. Und so hat der Motor geschätzt 200m vor dem Ziel abgemagert was zu zusätzlicher Leistung aber auch zu zusätzlicher Verbrennungstemperatur und damit zum Fressen mindestens eines Kolbens bei voller Fahrt und Vollgas führte. Und manche Fresser kommen so urplötzlich dass wirklich keine Zeit mehr besteht die rettende Kupplung zu ziehen. Hier war es so ein plötzlicher Fresser, der Motor hat blockiert, das Hinterrad stand sofort still bei geschätzt 200 Sachen. Da kommt keine Freude mehr auf. Wolfgang hat das Motorrad verlassen. Das war aber kein aktiver Akt von ihm. Er wurde abgeworfen. Von da an gingen beide getrennte Wege. Das Motorrad suchte noch seinen Weg ins Ziel und fand es auch. Wolfgang wählte den Weg in Richtung Schlucht. Er sah etwas mitgenommen aus hatte aber sein Lächeln nicht verloren. Wahrscheinlich hatte er auf gute Haltungsnoten während seines Sturzes gehofft. Und die hätte er auch wahrlich verdient gehabt. Er hatte sich nichts gebrochen was auf ein gutes Abrollen schließen lässt. Auch er trug einen Römer-Halbschalenhelm aus Überzeugung. Die Spuren an der Brille und sogar Kratzspuren an der Nasenspitze lassen darauf schließen dass er zur Bremsung die Vorderseite seines Körpers wählte. Wohl auch deshalb schaffte er es nicht durchs Ziel. Er wählte auch eine abweichende Richtung. Ja, für diesen Sturz hat der Mechaniker die Verantwortung übernommen. Der Mechaniker war ich. Unserer Freundschaft hat dies aber bis heute keine Abbruch getan. Es ist nun Teil einer gemeinsamen, lebendigen Erinnerung. Unser beider Mitgefühl gehört denjenigen die diese Arten der Erlebnisse nicht so unbeschadet oder gar nicht überstanden haben. Ein großer Dank an unsere Schutzengel. Dir, lieber Wolfgang, mein großer Dank an die schönen gemeinsamen Zeiten. Du warst mir ein großes Vorbild und eine große Hilfe auf meinem Weg dahin wo ich heute zufrieden und gesund stehe.
Ansbach, den 3. Mai 2020